Kommissar Matschkopf und der Fleckenteufel

Bunkereingang

Terror und Tulpensud: Matschkopfs 6. Fall

Es war zum Verzweifeln! Er haderte mit seiner persönlichen Lebenslage wie auch mit der globalen Gesamtsituation. Früher war er ein weltweit gefürchteter Terrorist gewesen, jetzt nur noch eine lächerliche Randnotiz in der Kriminalitätsstatistik. Es war schon soweit gekommen, dass er auf crimeadvisor.com nach Terrorideen suchte. Aber welchen Sinn machte schon ein Giftgasanschlag in der U-Bahn, wenn die gefährlichsten Substanzen in den Supermarktregalen lauerten? Wozu ein Sprengstoffanschlag, wenn jeder Zweite dies für den Soundcheck einer Heavy-Metal-Band hielt? Und seine letzten Ansätze sich zurück an die Spitze der internationalen Terrorszene zu katapultieren waren kläglich gescheitert. Sein Versuch das Taliban-Regime zu erpressen, indem er massenweise Bartschneider ins Land schmuggelte, lief ins Leere. Nun wurden die Leute halt mit elektrischen Bartschneidern gefoltert und massakriert. Die Herren Islamisten hatten aber weiterhin ihren Urwald im Gesicht. Auch sein Versuch, den Nissan-Konzern um ein paar Millionen zu erleichtern, indem er eine Schadsoftware in deren Designprogramme infiltrierte, ging kläglich nach hinten los. Die haben nicht einmal gemerkt, dass ihre Produkte das Ergebnis eines Computerviruses waren. Frustriert und tief gebückt ging Heinz-Günther Frickler, vor langer Zeit auch mal bekannt als Superterrorist El Malo, zu seinem auf Hochglanz polierten dunkel-metallic-farbenen Benz und reihte sich unauffällig ein in den regelbefreiten albanischen Straßenverkehr.

„Wo waren Sie Dienstag Abend um 23 Uhr 25?“ Der mittelalte Herr mit der grau umrandeten Halbglatze begann zu schwitzen. „Ich, ich weiß nicht mehr. Das ist schon so lange her.“ „Hören Sie auf zu lügen. Man hat Sie erkannt. Sie haben die Katze der Nachbarin entführt und es dann dem herrenlosen Köter im Stadtpark untergeschoben. Leugnen ist zwecklos.“ „ Ja, Sie haben Recht. Ich kann nicht mehr. Der Druck ist zu groß. Ich gestehe. Gegen Ihre Logik habe ich keine Chance.“ „Sehr gut. Hol schon mal den Wagen, Erwin.“ „Cut! Matschie, das war großartig! Das wird der Blockbuster der Saison. Soviel Spannung und kriminalistisches Feingefühl hat die Seriensuchtgemeinschaft noch nicht gesehen.“ Der Regiseur überschlug sich vor Begeisterung. Kaum zu glauben, dass Hauptkommissar A.D. Matschkopf vor nicht allzu langer Zeit noch echte Verbrecher gejagt hatte. Aber seine neue Karriere als Starermittler einer Endlosnetflixserie war nur die logische Folge seiner ermittlerischen Brillianz gepaart mit einem beispiellosen Charisma. Schon die ersten sieben Staffeln von „Derrick 2.0 – The Return of the Trenchcop“ hatten zu astronomischen Werbeeinnahmen geführt. Die neueste Staffel aber würde mit Sicherheit alle Rekorde brechen.

Shanghai, 19 Uhr 17: Der stellvertetende Überwachungsdienstschichtleiter Honk-Li Wurst kam nach einem arbeits- und verhaftungsreichen Tag nach Hause. Er suchte sich in der Vorratskammer ein Gericht seines Lieblingsfertiggerichtherstellers „Leckelleis“ aus, schob es in die Mikrowelle und … Bummm!

Castrop-Rauxel, Piefkeweg 9, drittes Reihenhaus von links, Punkt 20 Uhr: Heinz und Helga Spießke saßen in einem Abstand von exakt 30 cm auf dem Sofa und harrten dem Beginn der Nachrichten. Auf dem Schoß hatten beide eine Packung „Oma Käthes Matschepampe“. Und wie jeden Abend zogen sie gleichzeitig die Zellophanabdeckung von der Packung …. Bummm!

Minsk, westliche Vorstadt, Block 32A, 5. Stock, 20 Uhr 44: Igor Alkin, Produktentwickler beim staatlichen Wodkahersteller „Putins Liebling“ warf sich erschöpft auf das Sofa. Seine Neuentwicklung eines fast alkoholfreien Destillats war beim Vorstand gar nicht gut angekommen. Das innovative Produkt mit der Bezeichnung „Sascha 3%“ würde wohl niemals die Ladenregale zu Gesicht bekommen. Frustriert öffnete Igor eine Tüte Instant-Borschtsch und … Bummm!

„Hauptkommissar Matschkopf, bitte finden Sie sich unverzüglich in dem nächstgelegenen Regierungsstudio ein.“ Verführerisch und gleichzeitig unerbittlich säuselte die Computerstimme auf der Voice-Mail, die Matschkopf soeben erhalten hatte. Dieser Aufforderung nicht nachzukommen war ein Ding der Unmöglichkeit. Er war zwar aus dem aktiven Polizeidienst mit allen Ehren ausgeschieden um sich ganz und gar seiner schauspielerischen Tätigkeit zu widmen. Aber: einmal Polizist, immer Polizist! Außerdem wäre es auch keine gute Idee, sich einer eindeutigen Aufforderung der neuen Regierung zu widersetzen. Nach endlosen gescheiterten Koalitionsverhandlungen waren Parlament und Parteien abgeschafft und durch ein Computerprogramm ersetzt worden. Die Regierungsgeschäfte hatte ein Avatar mit der Bezeichnung „Olaf Laschbock“ übernommen, der wie auch sämtliche Ministerien und Behörden ausschließlich virtuell war. Die einzige Möglichkeit der Bürger mit der Regierung persönlich in Kontakt zu treten war über die Regierungsstudios, die sich in jeder größeren Stadt befanden. Es waren ausrangierte Sonnenstudios, in die man sich legte und mit der Regierungscloud verlinkte.

Matschkopf begab sich so schnell, wie es seine durchtrainierten Beine erlaubten, zum nächstgelegenen ehemaligen Tiffen-Toaster, legte sich auf eine der Sonnenbänke und aktivierte den Link. „Matschkopf, Personenkennziffer 3 7 Strich 4 3 7 M T K“. Sofort erschien ein Hologramm mit einer komplett unbekleideten, üppigen und langbeinigen Blondine, also seinem üblichen Kontakt-Avatar. „Bürger Matschkopf, Sie sind ab sofort wieder im Polizeidienst. Sie haben den Auftrag undercover zu ermitteln. Finden Sie denjenigen, der für die Fleckenepidemie verantwortlich ist. Zeit: bis Mittwoch 17 Uhr 30. Ende der Übertragung.“

Auf seiner Netzhaut verschwammen langsam die Konturen des Avatars (leider!) und es begann sich eine Art Panik breitzumachen. Mittwoch 17 Uhr 30. Das waren gerade einmal 48 Stunden! Und es war eine Sache als Derrick-Remake ein Drehbuch abzuspulen, eine ganz andere war es echte Polizeiarbeit zu leisten. Seine früheren Erfolge konnten sich zwar zweifelsohne sehen lassen, aber inzwischen war er ein bisschen eingerostet. Allerdings war die von den Medien als „Fleckenepidemie“ bezeichnete Verbrechensserie durchaus eine Aufgabe, die seinen Fähigkeiten würdig war. Überall auf der Welt waren seit einigen Wochen Fertiggerichte explodiert und hatten ihre Konsumenten mit farbigen Flecken besprenkelt. Das Problem hierbei war aber, dass sich diese Flecken nicht mehr entfernen ließen und die Betroffenen auf alle Zeiten als Fertiggerichtkonsumenten gebranntmarkt waren. Zu allem Überfluss war in den sozialen Medien, vor allem auf dem bei Jugendlichen so populären TöckTöck, eine Challenge viral gegangen, bei der sich die Teilnehmer selbst mit Dosengulaschsuppe, Fertigraviolis und asiatischen Nudelsuppen besprenzten. Als Folge war die virtuelle Regierung einem sehr realen Shitstorm von waschmüden Eltern und Umsatzeinbußen befürchtenden Fertiggerichtherstellern ausgesetzt.

Den Mantelkragen hochgeschlagen und die Hutkrempe tief ins Gesicht gezogen stand Hauptkommissar W.I.D. (Wieder Im Dienst; Anmerkung der Redaktion) Matschkopf an der Straßenecke und trank eine Hülse Opium-Bier der Marke „Kabul Export“. Gleichermaßen unauffällig gekleidet näherte sich eine etwas fülligere Gestalt mit einem Döner in der Hand. „Erwin, schön dich zu sehen. Wir sind wieder im Geschäft.“ Kriminaloberinspektor Erwin P. Dumpfbacke war Matschkopfs langjähriger Kollege und amtierender Weltmeister im Dönerschnellessen. Auch er hatte eine unzweideutige Aufforderung mittels Regierungsstudio bekommen.

Auf dem Zeiten-Quadratplatz im Zentrum von Groß-Sömmeroda hatte sich eine gewaltige Menschenmenge gebildet und starrte gebannt auf die riesige Leinwand. Man sah, wie sich Teenager aus allen Teilen der Welt gegenseitig mit Hühnersuppe aus Dosen übergossen. Vor der Leinwand hatte man eine Bühne aufgebaut, auf der nun der allseits beliebte Moderator D. D. Bowlen ins Mikro gröhlte: „Danke Tokio. Das war SUPER! Und nun live und in Farbe die besten Teenies aus Groß-Söm-Mer-Ro-Daaaaaa!!!!“ Auf das Signal hin öffneten die minderbemittelten Minderjährigen ihre Dosensuppen und gossen sie sich über den Kopf. Das Publikum johlte. Doch schon bald wich das Gejohle einem geschockten Stöhnen. Auf der Leinwand wurde eine Eilmeldung eingeblendet:

++++Fleckenteufel hat wieder zugeschlagen++++Mexiko im Schockzustand++++Fleckenteufel hat wieder zugeschlagen++++Mexiko im Schockzustand++++Fleckenteufel hat wieder zugeschlagen++++

Auf der Leinwand sah man, wie sich eine Mariachi-Kapelle in voller Montur versuchte Chili con carne von den Gesichtern zu wischen.

„Erwin, wir müssen handeln. Und zwar schnell!“ Dumpfbacke kratze sich am Kinn. „Das ist wirklich schade um das Chili. Das ist wirklich lecker.“ Matschkopf hob den Zeigefinger. „Moment mal, Erwin. Du kennst die Produkte?“ „Ja, klar. Leckelleis macht den besten Glutamatreis, mit Oma Käthes Matschepampe bin ich aufgewachsen, der Instant-Borschtsch ist auch nicht schlecht und das Chili von Las Drogas ist einfach das beste.“ Matschkopf zögerte nicht lange. Er klappte die Brusttasche seines Mantels auf und sprach hinein: „Online search: Leckelleis, Oma Käthe, Wrzstrzstcz Borschtsch, Las Drogas“. Wenige Nanosekunden später ertönte eine laszive Stimme: „Dankeschön Matschie für die interessante Aufgabe. Deine Suchbegriffe habe folgende Gemeinsamkeiten: Nahrungsmittel, ungesund, schnelle Zubereitung, Verpackung nicht biologisch abbaubar, Marken des Van-Gammel-Konzerns. Ich freue mich auf deine nächste Anfrage. Tschüßchen, dein Google.“

„Herr Hauptkommissar, gut, dass Sie da sind.“ Van Gammel saß aufgelöst, schweißtriefend und mit tiefen Falten auf der Stirn an seinem Schreibtisch. „Inzwischen sind alle meine Marken betroffen und auf dem Fleckenindex gelandet. Sie dürfen also nicht mehr verkauft werden. Und dann ist vor ein paar Minuten dies hier gekommen.“ Van Gammel drehte den Bildschirm zu den beiden Gesetzeshütern und startete das Video. „Sie kennen mich nicht, aber ich bin die Lösung Ihres Problems,“ sagte eine mit offensichtlich falschem Bart, Turban und verspiegelter Sonnenbrille getarnte Gestalt. „Überweisen Sie innerhalb der nächsten zwei Stunden 10 Millionen Digital-Dong auf unten angegebenes Konto bei der Cloud-Bank. Dann können Ihre Kunden sich wieder genussvoll die Gesundheit ruinieren.“ Matschkopf blickte sorgenvoll zu van Gammel. „Das Konto ist bei der Filiale im Ultra-Darknet. Die Transaktion können wir nicht verfolgen.“ „Ich weiß, das ist aber das geringste Problem. Ich habe keine 10 Millionen Digital-Dong. Ich habe nicht einmal mehr genug Cash, um unsere Lieferanten zu bezahlen. Die Altölhändler haben schon die Lieferungen gestoppt, die Jaucheproduzenten werden bald folgen.“

Matschkopf schaute nochmals nachdenklich auf den Bildschirm. „Van Gammel, spielen Sie das Video nochmal ab. … Stop … kurz zurück … genau hier. Erwin siehst du das auch?“ „Klar, in der Sonnenbrille spiegelt sich etwas. Das ist doch eine 93er C-Klasse. So eine hatte ich auch mal. Und daneben ein ML von 2011, allerdings mit Rostproblem. Dahinter ist eine niegelnagelneue S-Klasse. Cool!“ „Und sie haben alle zwei Dinge gemeinsam,“ Matschkopf machte eine dramaturgisch wertvolle Pause, „sie sind Benz und auf Hochglanz poliert!“

Die beiden Terroristenjäger nahmen unverzüglich die nächste Flix-Drohne und landeten auf dem internationalen Drohnenport von Tirana. Unzähligen auf Hochglanz polierten Benzen unter Lebensgefahr ausweichend erreichten sie schließlich das Zentrum von Albaniens Hauptstadt. Nun standen sie allerdings vor einem Problem. Albanien war zwar nicht Brasilien und Tirana nicht vergleichbar mit Tokio. Trotzdem gab es hier genug Ecken und Winkel, wo sich ein hinterhältiger Terrorist verstecken konnte. „Matschie, lass uns erst einmal etwas essen gehen. Auf leeren Magen lässt es sich schlecht Terroristen jagen. Ali hat hier doch sein neuestes Restaurant eröffnet.“ Wo Dumpfbacke Recht hatte, hatte er Recht. Auch Matschkopf fühlte seinen Magen in den Kniekehlen. Außerdem sollte man sich ein Mahl bei Ali nicht entgehen lassen. Ihr langjähriger Freund und Hilfsterroristenjäger Ali war zwar inzwischen ein milliardenschwerer Besitzer von Fastfoodrestaurantketten und unzähligen Gourmettempeln, aber sobald es um die Jagd auf hinterhältige Subjekte ging, die die Menschheit bedrohten, war auf ihn Verlass. Gerade erst hatte Ali medienwirksam seine auf Super- und Hyperfood spezialisierte Supermarktkette „Ali-Natura“ eröffnet, da gelang ihm schon der nächste Coup: der ultimative Feinschmeckertempel in einem ehemaligen Bunker im Zentrum Tiranas.

Bunkereingang
Eingang zum Bunker – Tirana

Das „Revolution“ betrat man durch den originalen, im 20sten Jahrhundert errichteten Bunkereingang. Wenn man dann die Treppe nach unten ging, kam man in die zu Speisesälen umfunktionierten Büro- und Aufenthaltsräume der damaligen Parteioberen. Stilsicher waren die Räume mit großformatigen Porträts berühmter Revoluzzer dekoriert. Vorbei an Bildnissen von Karl Marx, Fidel Castro und Sarah Wagenknecht erreichten sie das Schmuckstück dieses Bunkerrestaurants, die Kevin-Kühnert-Gedächtnislounge. Und siehe da, wer an einem der Tische saß und speiste: Ali höchstpersönlich!

„Matschie, Erwin, welch Überraschung! Setzt euch zu uns. Darf ich vorstellen? Mein neuester Mitarbeiter, Heinz-Günther Frickler.“ Matschkopf traute seinen Augen nicht. Einer der berüchtigsten Terroristen aller Zeiten saß entspannt am Tisch und verspeiste Murmeltier-Kebabi. „Ali, du steckst also hinter den Terroranschlägen.“ „Na ja, Terroranschläge würde ich das nun nicht gerade nennen. Sagen wir einfach, es waren Maßnahmen zur Förderung der Volksgesundheit. Irgendjemand muss doch dieser Fertiggerichtepidemie Einhalt gebieten. Und dann fand ich eines Morgens unseren kleinen Terroristen hier halb verhungert, als er gerade einen D-Böller in mein Restaurant schmeißen wollte. Matschie, Erwin, nehmt euch etwas von dem Buchsbaumlikör und lasst uns gemeinsam auf das Wohl der Menschheit anstoßen!“

Cheers

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